Meinungen gehen oft weit auseinander. Je nachdem, welches Vorwissen jemand mitbringt und welche Lasten die Person zu tragen hat. Auch die Gefühle, Erfahrungen und Erlebnisse, die sie im „kleinen Rucksack“ mit sich trägt, haben sie zu dem Menschen gemacht, der sie heute ist – oder zu dem, der sie zu einem bestimmten Zeitpunkt war.
Als Berufsbildnerin ist es mir besonders wichtig, Schnupperlernende bestmöglich zu betreuen – und dabei ehrlich zu sein. Mit „ehrlich“ meine ich vor allem, konstruktive Kritik zu geben, die Wachstum und Entwicklung ermöglicht. Denn mein Ziel ist es, jungen Talenten zu helfen, ihre Stärken zu erkennen und ihren Weg in der Berufswelt zu finden. Es geht nicht darum, auf Fehler herumzuhacken, sondern aufzuzeigen, was jemand richtig gut kann. So habe ich schon KV-Schnupperlernende begleitet, die ihr Talent für die Informatik entdeckt haben, oder herausgefunden haben, dass ihre kreative Ader stärker ist, als sie dachten.
Mir ist es wichtig, nicht in den „Tunnelblick-Modus“ zu verfallen. Ich habe selbst schon viel erlebt: Ich war früh auf mich allein gestellt, habe in verschiedenen Branchen und Berufen hineingeschnuppert und gearbeitet und aus jeder Erfahrung etwas mitgenommen. Dieses Wissen nutze ich heute, um in der Berufsbildung anderen zu helfen. Ich kenne dadurch viele Berufe aus erster Hand, weiss, was wichtig ist und was nicht, und gebe dieses Wissen gerne weiter. Mein Motto? „Weiterdenken, als nur bis zur Nasenspitze.“
Meistens klappt es, manchmal auch nicht – aber wenn es mal nicht klappt, reflektiere ich, lerne daraus und versuche, es beim nächsten Mal besser zu machen. Selbstreflexion ist für mich ein grosses Thema.
Aber jetzt bin ich abgeschweift... Zurück zu den Schnupperlernenden und warum es mir so wichtig ist, sie immer respektvoll, ehrlich und auf Augenhöhe zu behandeln.
Als ich selbst Teenager war, habe ich einige negative Erfahrungen gemacht. Die prägendste möchte ich mit euch teilen:
Mein Traum war es damals, Dekorationsgestalterin zu werden, heute heisst der Beruf Polydesigner/in 3D EFZ. Während einer Schnupperlehre in einem Lehrbetrieb war ich total aufgeregt. Alle waren nett, und ich fühlte mich sofort wohl. Ich liebte es, Räume zu gestalten und über Dekoration zu sprechen. Nach drei Tagen musste ich eine Aufgabe allein bewältigen: eine Streichholzschachtel zeichnen. Für mich war das nicht schwer, denn meine Mutter, die ein kleines Architekturbüro führt, hatte mir das Zeichnen und Skizzieren bereits als Kind beigebracht. Ich war also ziemlich schnell fertig.
Im Abschlussgespräch kam dann der Schock: Der Berufsbildner sagte, meine Zeichnung sei schlecht, und ich hätte keine Chance in diesem Beruf. Mir fehle es an Talent. Ich war am Boden zerstört. Drei Tage lang hatte ich nur positives Feedback bekommen, und plötzlich wurde ich komplett niedergemacht.
Während er danach mit meinen Eltern sprach, stand ich beinahe weinend daneben. Doch dann sagte er zu meinen Eltern: „Ihre Tochter hat Talent, sie hat das gut gemacht!“ Ich war fassungslos. Wieso hatte er mir Minuten zuvor das Gegenteil erzählt? Heute ärgere ich mich, dass ich nicht den Mut hatte, zu sagen: „Aber vorhin haben Sie doch etwas ganz anderes gesagt!“
Meine Eltern waren glücklich, ich weniger – im Auto brach ich dann in Tränen zusammen.
Diese Erfahrung prägt mich bis heute. Deshalb ist es mir so wichtig, Schnupperlernende immer fair und ehrlich zu behandeln.
Im Nachhinein bin ich aus verschiedenen Gründen froh, dass ich diese Ausbildung nicht gemacht habe – aber das wusste ich natürlich damals noch nicht.
Wie ihr jedoch in meinem anderen Blogeintrag „Heute war ein richtig erfolgreicher Tag!“ bereits gelesen habt, erlebe ich oft Gegensätze. Nachdem ich einen heftigen Schlag in die Magengegend verkraften musste, erlebte ich ungefähr drei Jahre später das genaue Gegenteil. Als ich an einer privaten Kunstschule angenommen wurde und zusammen mit internationalen Studierenden malen und zeichnen durfte, kam die Schulleiterin – eine grossartige Frau mit viel Talent – während des Aktzeichnens zu mir, legte ihre Hand auf meine Schulter und sagte, dass ich Talent hätte und weit über dem Niveau meines Alters sei. Man merke, dass ich schon als kleines Kind das Zeichnen gelernt habe.
Für diese wundervolle Frau bin ich bis heute dankbar – sie war eine echte Schlüsselfigur in meinem Leben und schenkte mir Mut.
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